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Die dramatische Ballonfahrt

von Berlin nach Laufach
vom 5. – 7. April 1906

aus: „Abenteuer in Schnee und Eis“ von Klaus Rohrbach

Wegeners dritte Fahrt allerdings sollte einen besonderen Höhepunkt darstellen! Sie ging sogar in die Geschichte ein.

Im Rahmen eines speziellen Forschungsprogramms des Lindenberger Observatoriums wurde eine Ballonfahrt mit Hochaufstieg geplant; weiterhin sollte erstmals die Methode der astronomischen Ortsbestimmung bei Nacht erprobt werden…

Diesmal taten sich die beiden Brüder Wegener als Besatzung zusammen. Der Start musste allerdings aus verschiedenen Gründen mehrfach verschoben werden. Dann jedoch ging plötzlich alles sehr schnell.

Am 5. April 1906 starteten Alfred und Kurt Wegener um 9 Uhr morgens mit einem mächtigen ehemaligen Fesselballon, teilweise umgerüstet, gefüllt mit 1200 m³ Wasserstoff. An Bord waren 38 Sandsäcke Ballast geladen. Schnell stiegen sie auf, mit Kurs Nordwest. Mittags waren sie schon an der Ostsee, passierten die Westküste Fehmarn und erreichten kurz vor der Dunkelheit Jütland. Doch jetzt flaute der Wind ab; der Ballon drehte stark nach Osten und trieb am Morgen des nächsten Tages sachte aufs Meer hinaus, dann aber – schon nahe der dänischen Küste – glücklicherweise wieder nach Süden. Nachmittags frischte der Wind allmählich auf. Der Ballon gewann an Geschwindigkeit und erreichte abends die deutsche Küste. Da jedoch drehte der Kurs nach Westen! Sollten sie etwa auf die Nordsee getrieben werden?

Bald mussten sie alles zum Abstieg vorbereiten – da drehte plötzlich der Wind erneut. Der Ballon trieb wieder nach Süden… Über Hamburg ging es hinweg bis westlich von Hannover, und am Morgen schließlich trieb der Ballon an Kassel vorbei.

In den Nächten hatten sie insgesamt vier astronomische Ortsbestimmungen durchgeführt. Die Überprüfung zeigte, dass die Ergebnisse weitgehend stimmten. Dem Zweck der Orientierung während einer Ballonfahrt bei Nacht genügten sie jedenfalls völlig. Zusätzlich hatten Kurt und Alfred eine Vielzahl meteorologischer Beobachtungen angestellt.

Doch nun begannen die Schwierigkeiten.

Der Start war in Eile vorbereitet und durchgeführt worden. Ursprünglich sollte es lediglich eine einfache Nachtfahrt werden. Deshalb war die Ausrüstung auch nicht für eine Dauerfahrt eingerichtet. Verpflegung hatten sie nur für zwei Tage mitgenommen: zwei Pfund Schokolade, vier Koteletts, zwei Flaschen Selterswasser und zwei Apfelsinen. Zudem hatten sie in der Aufregung bei der Abfahrt ihre Mäntel vergessen. Sie trugen jeder nur ein einfaches leichtes Sommerjackett und froren in den Nächten erbärmlich. Wegen starken Schüttelfrosts konnten sie bei Temperaturen bis minus 16 Grad Celsius nicht einmal schlafen! Und schon am zweiten Tag fehlte es ihnen an Verpflegung.

Doch der Kurs war gerade jetzt so günstig. Ohne wirkliche Not konnten sie diese wunderbare Fahrt nicht einfach abbrechen. Noch ging es ja, wenn auch nur mit der allergrößten Mühe. Es fehlte auch noch der geplante Höhenaufstieg.

Trotz aller Hindernisse beschlossen die beiden am dritten Tag, den Aufstieg zu wagen. Sie wollten versuchen, den Ballon auf etwa 5300 Meter zu bringen. Das müsste ohne weiteres möglich sein. Beide hatten auf früheren Fahrten schon größere Höhen gemeistert. Kurt war sogar schon bis auf 7000 Meter aufgestiegen, allerdings mit entsprechender Ausrüstung. Dennoch, einen Versuch war es wert. Der Ballon stieg. Bis auf 3700 Meter. Nur der verbliebene Ballast an Bord hinderte ihn daran, weiter aufzusteigen.

(Kurz vor Laufach:)

Kurts Gesicht war ganz grau und rissig vor Kälte. Seine Glieder zitterten. Da sah er, wie Alfred ohnmächtig wurde. Rasch rutschte er zu ihm hinüber, den eiskalten Lärm des Windes in den wunden Ohren, und rüttelte ihn, bis er wieder bei Sinnen war. Gemeinsam krallten sie sich mit ihren frostigen Händen in einem Sandsack fest und versuchten, ihn hochzustemmen, hinauf zum so unendlich weit entfernten Korbrand. Doch völlig entkräftet mussten sie loslassen. Der Sack stürzte bleischwer zurück auf den Boden und erschütterte den Korb. Kurt verlor das Gleichgewicht und sank langsam zu Boden, völlig überanstrengt. In den nächsten Stunden mehrten sich der Schüttelfrost und die Ohnmachtsanfälle. Äußerst schmerzhafte Muskelkrämpfe kamen hinzu.

Drei weitere Stunden hielten die Brüder noch durch. Dann mussten sie ihren Kampf um einen weiteren Aufstieg aufgeben und den Versuch abbrechen. Sie schafften es einfach nicht mehr, auch nur einen einzigen weiteren Sandsack abzuwerfen. Hunger und Kälte hatten gesiegt.

Alfred und Kurt Wegener leiteten den Abstieg ein. Am 7. April 1906, mittags um 13.32 Uhr, landeten sie schließlich im Spessart bei Laufach, etwa 10 Kilometer östlich von Aschaffenburg. Etwas mehr als 52 Stunden hatte ihre Fahrt gedauert. Und das war der bisher weltweit längste Dauerflug im Ballon.

Ohne es geplant zu haben, hatten sie den bisherigen Rekordinhaber Comte de la Vaulx und seinen berühmten Flug von 1900 mit 35 Stunden um mehr als 17 Stunden überboten. Und das als noch relativ unerfahrene Anfänger im Ballonfahren und mit völlig unzureichender Ausrüstung.

Lange Berichte über den sensationellen Erfolg erschienen bald in allen deutschen und vielen ausländischen Zeitungen. Doch es traten Zweifel an den mitgeteilten Flugdaten auf. Es gab Neider. Eine sorgfältige Prüfung ergab allerdings, dass der gesamte Flug mustergültig dokumentiert worden war und somit alles bewiesen werden konnte. Äußerste Willensanstrengung und bedingungsloses Durchhaltevermögen, exakte und sorgfältige Messungen unter schwierigsten Wetterbedingungen, bei größten körperlichen Entbehrungen, Hunger und Kälte – diese Fähigkeit erwarb sich Alfred Wegener auf seinen Ballonfahrten, und das alles als einfacher wissenschaftlicher Beamter eines Observatoriums. Es waren die besten Voraussetzungen für die Verwirklichung seines alten Traumes: die Eroberung der Polargebiete….

So könnte der Transport des Ballonkorbes zum Laufacher Bahnhof ausgesehen haben.